Eine Lichtsturm-Kurzgeschichte zum Valentinstag
„Was ist das wieder für ein erbärmlich stinkender
Gorgoil-Dreck!“, fluchte Maus. Er war es leid. Schon wieder erinnerte ihn ein mit roten Herzchen überladenes Popup-Fenster daran, dass am kommenden Freitag Valentins-Tag war. Valentins-Tag!
Welcher Vollpfosten erfindet so was? Einen x-beliebigen Tag mitten im Februar, an dem alle ums Verrecken beweisen mussten, wie furchtbar verliebt sie waren. An dem sie dickmachende Pralinen oder
überteuerte Blumensträuße besorgen mussten. Nur, um von ihrer Angebeteten so etwas zu hören zu bekommen wie: „Ach stimmt ja, heute ist ja Valentinstag. Hätte ich fast vergessen.“ Als könnte man
irgendwie daran vorbeikommen. Verdammte Axt! Es gab schließlich Werbeprofile. Diese Heinis mussten doch wissen, dass Maus nicht zu denen gehörte, die auf solchen Unsinn abfuhren. Viktoria war
auch ohne Valentin klar, dass er ihr hoffnungslos verfallen war - und zwar auch an den anderen 364 Tagen des Jahres. Dazu brauchte es diesen Kitsch nicht.
Mit einem festen Klick verbannte er das Popup wieder ins digitale Nichts und machte den Fehler, bei Facebook nach Neuigkeiten zu
suchen. Da! Schon wieder ein Blumenstrauß. Und ein Herz. Und eine Diskussion darüber, dass der Tag zwar so furchtbar kommerziell sei, man sich aber trotzdem riesig über das Geschenk letztes Jahr
gefreut habe.
„Von meinem Macker krieg ich nie was. Der soll auch besser das Geld zusammenhalten. Fällt ihm schwer genug“, meckerte eine andere
Diskussionsteilnehmerin.
Ein Blick auf das Profilbild gab Maus eine Idee davon, woran es liegen könnte, dass der „Macker“ keinen Bock auf romantische
Geschenke hatte. Die Frau sah zwar nicht wirklich übel aus, hatte aber etwas abgrundtief Garstiges in ihrem Blick.
„Erbärmlich, stinkender Gorgoil-Dreck“, tippte Maus in das Kommentar-Feld, löschte es aber gleich wieder. Das hatte ja doch keinen
Sinn. Bitte. Wenn es Leute gab, die so was brauchten.
Maus grinste, als seine Gedanken zu einem Abend zurückreisten, an dem er sich mit ein paar Kumpels, einem Kasten Bier und einer
XL-Tonne Chips einen Rosamunde-Pilcher-Film reingezogen hatte. Irgendwie gruselig, aber ein Riesen-Spaß. Noch Wochen danach hatten sie sich darüber krankgelacht, was die rosa-gewandete Lady alles
unternommen hatte, um den geschniegelten Lackaffen zu bekommen.
Der plötzliche Heiß-Hunger auf eine extra-scharfe Currywurst zog Maus aus seinen Gedanken. Und er überlegte, ob die Küche in Bens
Anwesen hier auf Madeira zu so etwas Leckerem in der Lage war. Er würde es herausfinden. Valentinstag! Kein Mensch brauchte so was. Verdammt gut, dass Viktoria das genauso sah.
Der Wind blies wieder ein wenig heftiger. Viktoria
fröstelte und zog den Reißverschluss ihrer Strickweste zu. Aber trotz der frischen Brise: Es war schön hier. Larinil, die Albenkriegerin, hatte diesen Ort sicher nicht nur wegen der flachen Wiese
für ihr Training gewählt. Sondern auch wegen der Ginsterbüsche und der bemoosten Felsen, die sie umgaben. Und wegen der weißen Blüten der Liebesblume, die aus der rauen Urtümlichkeit hier und da
wie gezündete Feuerwerksvulkane hervorstachen. Die Alben liebten das Schöne. Sie brauchten es wie das Licht, dessen Energie sie in sich aufnahmen und das ihnen diese unglaublichen Kräfte
verlieh.
Larinil verbesserte einen Alben, der gerade mit brachialer Gewalt, aber reichlich unelegant, mit seinem Holzschwert auf einen
anderen Alben eingedroschen hatte. Der Angegriffene hatte verzweifelt versucht, die Angriffe abzublocken, dann aber völlig entnervt um Larinils Hilfe gebeten. Nach einer kurzen Diskussion ordnete
die Kriegerin schließlich eine Pause an.
Mit einem Seufzer setzte sie sich neben Viktoria auf den Felsen.
„Sie mögen aussehen wie Kinder des Lichts, aber in ihren Köpfen sind sie noch immer Menschen. Zuweilen vergesse ich
das.“
Viktoria lächelte.
„Vielleicht solltest du andere Maßstäbe anlegen, Larinil. Sie kommen nicht aus Deiner Zeit. Und es sind tatsächlich richtige
Menschen, die sich von heute auf morgen in etwas anderes verwandelt haben. Das ist neu für sie. Denk doch nur mal daran, wie schwer es dir fällt, dich in unserer Welt
zurechtzufinden.“
Die Albin nickte grinsend.
„Einkaufen im Supermarkt. So viele bunte Dinge, eingepackt in Plastik. Eure Sprache habe ich gelernt. Aber dort werde ich mich nie
zurechtfinden.“
„Mach dir nichts draus. Wir haben die Sachen ja bezahlt, die du aus dem Regal gezerrt und aufgerissen hast. Und ich bin sicher,
dass sich die Verkäuferin das mit dem Hausverbot noch mal überlegt, wenn du das nächste Mal deine Schwerter mitbringst.“
Larinil lachte.
„Mir war nicht klar, dass ich das große, rote Herz erst kaufen muss, um zu erfahren, was darin ist.“
„Das Valentins-Herz? Na, du bist mir ja vielleicht eine Romantikerin! Es ist ja gerade der Spaß dabei, nicht so genau zu wissen,
was darin ist. Man verschenkt es, um jemanden zu überraschen.“
„Ein seltsamer Brauch. Wozu ist er gut?“
Viktorias Blick fiel auf eine Liebesblume. Ihre schlanken Blütenblätter spreizten sich sternförmig in alle Richtungen. Es war eine
schlichte Blume - und dabei so traumhaft schön. Sie wäre ein perfektes Valentins-Geschenk - viel besser, als alles, was es in diesen Tagen in den Regalen gab. Viktoria war Larinils Abneigung
gegen Supermärkte plötzlich sehr sympathisch.
„Jedes Jahr, am 14. Februar, schenken sich Verliebte gegenseitig etwas Schönes, um zu zeigen, wie sehr sie sich
mögen.“
„Ich verstehe.“
„Das hört sich aber nicht so an.“
„Wir Kinder des Lichts verbringen sehr viel Zeit damit abzuwägen, bevor wir unsere Gefühle anderen offenbaren. Die Verbindung
zwischen einem Mann und einer Frau ist uns heilig. Sie ist etwas Vollkommenes, etwas, das über flüchtige Empfindungen weit hinausgehen muss. Deshalb denken wir über den ersten Schritt oft
jahrelang nach. Aber dann hängt er gewiss nicht von einem bestimmten Datum ab, sondern davon, wie aufrichtig und ernst unsere Gefühle sind.“
Viktoria schüttelte amüsiert den Kopf.
„So ernst nehmen wir das nun auch wieder nicht. Valentinstag ist ein Brauch, den man mitmachen kann oder auch nicht. Niemand
zwingt einen dazu, seinen Heiratsantrag ausgerechnet am 14. Februar zu machen oder seine Angebetete mit Rosen zu überhäufen. Es ist ein Tag, an dem man aber zumindest mal darüber nachdenken
sollte, so etwas zu tun. Ich glaube, das ist der Sinn davon. Daran zu denken, dass da jemand ist, den man liebt und dem man das vielleicht mal wieder zeigen sollte.“
Larinil lächelte. Es war ein melancholisches Lächeln. Viktoria wusste, dass sie sich vor einer kaum vorstellbaren Zeit in einen
Menschen verliebt hatte, einen Keltenhäuptling, dessen Nachfahren Larinil nun zu Alben ausbilden wollte. War sie noch immer traurig, ihn verloren zu haben? Viele Jahrhunderte lang hatte die Albin
schlafend im Fels verbracht. Vermutlich war ihre Erinnerung an den Häuptling aber noch ebenso frisch wie ihr Schmerz, dachte Viktoria.
„Dann ist es tatsächlich ein schöner Brauch“, sagte Larinil mit belegter Stimme.
„Was ist mit Maus?“, fügte sie dann hinzu.
Viktoria zuckte mit den Schultern.
„Was soll mit ihm sein? Der Dicke ist ein Computer-Nerd. Im Schlachtengetümmel seiner Rollenspiele kommt so was wie Valentinstag
nicht vor. Das ist nicht seine Welt. Ehrlich: Kannst du dir vorstellen, dass er mit einem Strauß roter Rosen vor mir kniet, um mir ewige Liebe zu schwören?“
„Ich weiß es nicht“, entgegnete Larinil höflich. Ihrem Gesicht war aber anzusehen, dass sie die Vorstellung reichlich merkwürdig
fand.
„Nein, das passt nicht zu ihm“, antwortete Viktoria an ihrer Stelle. „Maus ist so wie er ist. Und was mich angeht ist das auch OK
so. Ich will ihn ja gar nicht anderes.“
Die Albin nickte.
„Und wenn du das rote Herz trotzdem haben möchtest ...“
Sie machte eine kurze Pause.
„ ...dann kaufe ich es dir.“
Beide lachten drauf los und ignorierten Larinils Schüler, die sie mit höchst verwunderten Blicken ansahen.
Currywurst
und Kerzenlicht.
Die Lichtsturm-Kurzgeschichte
zu Valentin als Download:
„Das ist doch hoffentlich nicht Dein Ernst,
Alter?“
Maus war schlecht drauf. Das lag einmal daran, dass es ihm noch immer nicht gelungen war, auf dieser verdammten Insel eine
Currywurst aufzutreiben. Und dann nervte ihn, dass jetzt auch noch Ben mit diesem Valentins-Gedöns angefangen hatte.
„Du kennst Natalie doch noch gar nicht. Vielleicht wäre ihr so was ja sogar peinlich. Weißt du, wie sie tickt? Warst du überhaupt
schon mal mit ihr aus?“
„Wann denn bitte, Laser-Brain? Wir waren in den letzten Wochen damit beschäftigt, vor durchgeknallten Killern zu fliehen und in
Alben verwandelte Menschen einzusammeln. Schon vergessen?“
Maus ließ sich mit einem lautstarken Stöhnen in das beige Ledersofa fallen und blickte auf das Meer vor der Küste von Porto
Moniz. Es war unruhig. Immer wieder bildeten sich weiße Flecken, wenn der Wind die Wogen gegeneinander presste. Kein Badewetter, auch wenn der Himmel kaum klarer hätte sein können.
„Schon, aber Valentinstag ist etwas für Verliebte, Alter. Da muss schon … da muss schon wenigstens ein bisschen was da
sein.“
Ben sah ihn mit großen Augen an.
„Aber du hast doch selbst gesagt, dass Viktoria gesagt hat, dass sie glaubt, dass Natalie mich mag.“
„Mann, hörst du dir eigentlich hin und wieder selbst zu? Was du da sagst, ist Scheiße.“
„Ach ja? Der Herr Profi in allen Liebesdingen ist also der Meinung, ich rede Scheiße?“
„Genau.“
Ben stapfte wütend auf die Glastür zu, die in den Garten führte. Aber dann drehte er sich plötzlich wieder um und sah Maus hilflos
an.
„Aber was ist schon falsch daran, Natalie zum Valentinstag einfach so eine kleine Freunde zu machen? Ich denke da nur an ein paar
Rosen oder so. Mehr nicht.“
„Nur ein paar Rosen?!“
Maus schnaufte. Der Kerl kapierte es nicht. Vielleicht lag es ja daran, dass sein Kumpel kein Mensch mehr war und sich ein Teil
seines Verstandes in die übergroßen Ohren verschoben hatte, wo er jetzt brachlag.
„Ich erzähl dir mal was über Rosen am Valentinstag, Ben. An der Schule, an der ich war, hatten eine Stufensprecherin die
großartige Idee einzelne Rosen anzubieten, mit netten kleinen Zettelchen dran. Man konnte sie vorab bestellen, bezahlen und an den jeweiligen Schnuckelhasen zustellen lassen - wenn es sein
musste, auch anonym.“
„Das ist doch eine Hammer-Idee!“
„Ja, wie einen Hammer hat es den einen oder anderen getroffen. Es war ein Desaster. 'Battlefield' im letzten Level ist ein Dreck
dagegen.“
„Was ist passiert?“
„Ich selbst hab zu den vielen armen Seelen gehört, die natürlich keine Rose bekommen haben. Aber von denen red ich ja gar
nicht. Auch nicht von denen, die vorher ihrem Schatz gesagt hatten, dass sie keine Rose wollten, dann aber sauer waren, dass sich der Schatz auch noch daran gehalten hat.“
Maus machte eine kurze Pause, um die Spannung zu steigern. Als ihm Bens genervter Blick begegnete, fuhr er aber fort.
„Ich rede von den vielen, vielen Rosen, die an diesem Valentinstag voller guter Hoffnung an bis dahin heimlich angebetete
Zielpersonen zugestellt wurden. Kannst du dir das Chaos vorstellen? Eifersüchteleien, Missverständnisse, Peinlichkeiten, enttäuschte Gefühle. In der zweiten Pause waren die Papierkörbe voll mit
umgeknickten Rosen und vollgerotzten Taschentüchern. Es war ein Desaster. Irgendwie lustig, wenn du nichts damit zu tun hattest. Aber ein Desaster.“
„Und was du mir genau damit sagen willst, ist?“
„Dass Blumen, Rendezvous und nette Worte was Tolles sind, aber NICHT AM VALENTINSTAG!!“
Ben hob resigniert die Hände.
„Ich hab Deinen Punkt verstanden, Maus. Alles klar. Du bist der Profi. Wer bin ich, dass ich Deinen weisen Rat nicht befolgen
müsste!? Soll ich dir was sagen?“
„Wenn du so fragst ...“
„Manchmal tut mir Viktoria richtig leid.“
Mit einem Knall flog die Glastür in den Rahmen, nachdem Ben mit albischer Geschwindigkeit aus dem Wohnzimmer verschwunden
war.
Das war jetzt richtig nervig. Valentinstag war nervig. Und, verfluchte Axt, Maus brauchte eine Currywurst!!
Larinil war Großmeisterin des Lichts und eine Heilerin.
Sie hatte einst Kellens Wunde geschlossen, als ihn das Schwert eines feindlichen Kriegers durchbohrt hatte. Sie hatte sogar ihren eigenen geschundenen Körper retten können, nachdem sie vom
Rücken eines Pandrai tief in das Dickicht eines Waldes gestürzt war. Aber diese eine Wunde, diesen tiefen Schmerz konnte sie nicht heilen. Als sie Kellen verlor, wurde ein Stück aus ihrer Seele
gerissen. Kein Zauber, keine Arznei war stark genug, um zurückzuholen, was vergangen war.
Diese Menschen. Wussten sie überhaupt, was sie da hatten? Wussten sie, wie reich ihre Herzen waren? Larinil verstand nicht, welche
seltsame Bedeutung jener Tag hatte, der, so hieß es, den Liebenden gehörte. Den aber doch niemand haben wollte. An den Erwartungen geknüpft waren und Enttäuschungen. Es war eines der vielen,
kleinen Rätsel, die ihr diese Welt aufgaben, in der sie erwacht war. Kellen hätte es vielleicht für sie lösen können. Er war immerhin ein Mensch gewesen. Der Häuptling hatte ihr stets in
einfachen Worten erklären können, warum sein Volk oft so anders war als das der Kinder des Lichts.
Und, obwohl sie diesen Brauch nicht verstand, war Larinil doch eines klar: Es war kein glücklicher Tag.
Viktoria war am Morgen des Valentinstags alleine aufgewacht. Maus war in die Stadt gefahren, hatte sie vermutet. Möglicherweise,
um Chips zu besorgen, oder Bauteile für eine dieser Maschinen, an denen er oft stundenlang saß. Er hatte Viktoria einen Zettel auf dem Nachttisch hinterlassen. Aber sie hatte ihn nicht lesen
wollen.
Ben war vor allen anderen wach gewesen. Bis zum Mittag übte er mit dem Stock im Garten - ohne Ruhe und Harmonie, voller Zweifel
und Ängste. Dann zog er sich in seinen Wohnbereich zurück.
Nur Natalie war so entspannt und gut gelaunt wie meistens. Sie schien von diesem seltsamen Tag nichts zu erwarten, was offenbar
ein Segen für sie war. Sie begleitete Larinil in die Berge, wo die Albin einer Gruppe Verwandelter die Geheimnisse des Lichts offenbarte. Natalie war fasziniert von den Kräften, die Larinil
entfesseln konnte - auch, wenn es ihr als Mensch niemals vergönnt sein würde, sie zu beherrschen. Aber sie wollte begreifen, was da geschah. Ihr wacher Verstand hinterfragte und prüfte - und
brachte Larinil oft genug zum Lachen, wenn es wieder einmal keine klare Antwort auf eine Frage gab.
Sie hatte es geschafft, dass Larinil für eine Weile ihre Traurigkeit vergaß - und auch, was für ein Tag gerade war. Erst, als die
Großmeisterin in Bens Anwesen zurückkehrte, hoch oben im Hang über der Westküste Madeiras, wurde sie daran wieder erinnert.
Maus war noch immer nicht zurück. Viktorias Augen waren gerötet. Immer wieder nestelte sie an ihrer Brille herum oder knetete ihre
Finger.
„Hallo Larinil. Ich dachte, vielleicht wäre... Aber nein, ist er nicht.“
„Maus ist nicht bei mir. Hast du die Nachricht gelesen, die er dir hinterlassen hat?“
Viktoria schüttelte den Kopf.
„Was soll da schon drinstehen?“
„Finde es heraus!“
Sie zuckte mit den Schultern und sah einen Moment lang hilflos um sich. Dann versenkte sie ihre Hand in einem übervollen Mülleimer
und kramte schließlich einen Zettel hervor.
„Zettel hin oder her,“ murrte sie. „Ich finde, er kann doch nicht einfach so abhauen, ohne was zu sagen.“
Sie wollte gerade damit beginnen, den Zettel auseinanderzufalten, da stürmte Ben in den Raum.
Larinil fiel auf, dass er ein frisch gebügeltes Hemd trug, seine Haare ordentlich gekämmt hatte und er einen herben, aber sehr
ansprechenden Duft verströmte.
„Hallo Larinil. Ist .. Bist du allein gekommen?“
Was für ein seltsamer Tag! Die Albin nickte.
„Natalie wollte noch etwas aus dem Auto holen. Sie kommt gleich nach.“
„Ach so, Natalie“. Ben räusperte sich. „Ich dachte, Maus wäre vielleicht ...“
Larinil sah ihn spöttisch an.
„Ach, es ist Maus, für den du so schöne Kleider trägst. Und ich bin sicher, dass ihn auch Dein Duft ziemlich beeindrucken
wird.“
„Maus ist nicht da“, motzte Viktoria dazwischen und begann nun endlich, den Zettel zu entfalten. Ihre Augen wanderten über die
wenigen Zeilen, die darauf standen.
„Verdammter Mistkerl“, fluchte sie. Und doch passte ihre Miene so ganz und gar nicht zu dem, was sie da sagte. Tränen schossen ihr
in die Augen, ein leichtes Lächeln umspielte ihre Lippen. Und dann sah sie entsetzt auf ihre Uhr.
„Scheiße, ich muss weg.“
Sie rannte wie von hundert wilden Gorgoils gejagt zur Tür und wäre dabei beinahe gegen Natalie gestoßen, die gerade das Haus
betrat.
„Sorry“, stammelte Viktoria und war weg.
„Was ist denn hier los?“, fragte Natalie und sah sich unsicher um.
„Heute ist Valentinstag“, erklärte Larinil und erntete von Ben und Natalie dafür ein nervöses Kichern. Die Meisterin des Lichts
mochte zwar aus einem anderen Jahrtausend kommen. Aber sie wusste, wann es besser war, sich zurückzuziehen. Sie würde den Tag im Garten mit ein paar Schwertübungen ausklingen lassen. Allein, aber
mit dem guten Gefühl, dass dieser seltsame Valentinstag, der so trübselig begonnen hatte, nicht auch so enden würde.
„Ich hab uns einen trockenen Tinta Negra Mole mitgebracht.
Für heute Abend, wenn du willst. Ich hoffe du magst Madeira-Wein.“
Ben verlor sich in Natalies wunderschönen Augen, als sie das sagte und ihm die Flasche überreichte. Er meinte in ihrem Blick ein
Blitzen zu erkennen, etwas Schelmisches, Verheißungsvolles. Oder bildete er sich da nur etwas ein?
„Es ist natürlich nur reiner Zufall, dass heute … Also, nicht, dass du denkst ...“
Er nickte und kramte etwas unbeholfen in seiner Hosentasche herum. Sein Herz hämmerte beharrlich gegen die Innenseite seines
Brustkorbs. Aha, dachte er. Auch als mystisches Lichtwesen blieb einem das also nicht erspart.
„Ich hab auch etwas für dich“, sagte er leiser als beabsichtigt.
Ben beförderte einen kleinen, aus Korb geflochtenen Schlitten hervor und gab ihn ihr. „Das ist ein 'carro des cesto'. Wenn du Lust
hast, können wir nachher mit seinem großen Bruder den Berg nach Funchal hinunterrauschen - nach einem kleinen Abendessen. Ich habe in Monte einen Tisch reserviert.“
„Ja, klar“, sagte sie und lächelte ihr schönstes Lächeln.
„Ich habe gedacht, heute ist einfach ein guter Tag, um endlich mal etwas gemeinsam zu unternehmen“, ergänzte Ben. „Einfach so. Ich
hab gar nicht auf den Kalender geguckt. Sonst hätte ich vielleicht ...“
Sie gab ihm einen Kuss auf die Wange.
„Ja, ich weiß. Lass uns gehen!“
Das Haus war modern und groß, aber es hatte einen gewissen
Charme. Das weiß getünchte Obergeschoss lag wie eine herausgezogene Schublade auf der unteren Etage. Das flache Dach, die grauen Fensterrahmen, die verschachtelten Mauern, Winkel und Balkone
hatten so gar nichts mit dem auf Madeira üblichen Baustil gemein. Das Haus könnte so auch in einer deutschen Wohngegend stehen. Allerdings müsste es dann schon eine extrem gute Wohngegend sein.
Denn eines war offensichtlich: Die Besitzer standen auf der Gewinnerseite des Lebens. Warum in aller Welt hatte Maus sie hierher bestellt? Viktoria kamen Zweifel. Nachdem sie den Zettel gelesen
hatte, war sie ernsthaft davon überzeugt gewesen, dass der Dicke eine Valentins-Überraschung für sie ausgeheckt hatte. Jetzt war sie sich nicht mehr so sicher. Genau wie eigentlich auch sie hielt
Maus den ganzen Valentins-Schnickschnack für reichlich albern. Vielleicht ging es ja auch nur um einen Job, bei dem sie ihm helfen sollte. Ein dumpfes, schweres Gefühl breitete sich in ihrer
Magengegend aus, während sie auf den Klingelknopf drückte.
„Por favor!“, sagte der ältere Mann mit dem orangefarbenen Hemd und der Halbglatze Augenblicke später und winkte sie fröhlich
hinein. Dabei verbeugte er sich leicht und outete sich damit als Angestellter des Hauses.
„Hallo! Wo muss ich hin?“, fragte Viktoria etwas unbeholfen.
Der Mann schmunzelte und zeigte auf eine brennende kleine Kerze, die auf dem Parkettboden mitten im Flur stand.
„Boa noite!“, wünschte er dann und verschwand mit einer weiteren leichten Verbeugung in einem Nebenraum.
„Ich versteh nicht ...“, murmelte Viktoria, aber dann fiel ihr eine weitere Kerze auf, die in einigem Abstand ebenfalls auf dem
Boden stand. Und noch eine. Viktoria grinste und im selben Moment war das blöde Gefühl in ihrem Bauch verschwunden und machte einem angenehmen Kribbeln Platz. Sie folgte der Spur, durch einen
langen Gang, lief eine kleine Treppe hinunter und stand dann plötzlich vor einer großen, schweren Tür. Sie schnaufte noch einmal tief durch, dann drückte sie die Klinke. Warme, feuchte Luft
strömte ihr entgegen. Es roch nach einer Mischung aus Chlor und Wachs. Und als Viktoria den Raum betrat, sah sie auch sofort, warum.
„Dicker, was hat man dir heute Morgen eigentlich in den Kaffee gemischt!“, brummte sie und strahlte dabei über beide
Backen.
Das Schwimmbad war einfach nur großartig. Eine gewaltige
Glaswand gab den Blick auf das Meer und die schroffe, steil herabfallende Nordküste der Insel frei. Viktoria kam es einen Moment lang so vor, als würde das Haus in der Luft hängen. Der Blick war
atemberaubend. Aber noch weit mehr war Viktoria von dem fasziniert, was Maus im Schwimmbad selbst veranstaltet hatte. Die Kerzen-Spur führte hinab zum Becken, verzweigte sich dann und
umrahmte das komplette Bad. Abseits davon hatte jemand an drei Stellen aus Kerzen große Herzen geformt. Viktoria blickte auf ein nahezu vollkommen arrangiertes Szenario, wie es in einem alten
Hollywood-Schinken nicht hätte besser arrangiert sein können. Und mittendrin im Becken: Maus, der in Shorts und Hawaii-Hemd gekleidet auf einer riesigen aufblasbaren Tropeninsel fläzte. Neben ihm
lag ein Tablett mit bunten Muffins und zwei gelb-roten Cocktails. Die aufgeblasenen Palme zitterte und wackelte, als Maus mit den Händen im Wasser paddelte und die Insel an den Beckenrand
manövrierte.
„Willkommen zu meinem ultimativen Valentins-Party-Event!“, verkündete er dann mit reichlich Pathos.
„Party-Event? Wie viele Leute hast du eingeladen?“
„Nur die, mit denen mich ernsthafte und aufrichtige Liebe verbindet. Moment, ich zähle nach.“
Er sah sich angestrengt um, dann nickte er.
„Ja, wir sind vollzählig.“
Viktoria lachte, zog ihre Schuhe aus und setzte sich vorsichtig auf das wabernde Inselfloß. Maus hielt das Tablett hoch, während
es sich seine Freundin bequem machte.
„Ist alles genehm so?“, fragte er dann. „Sonst sag ich halt dem Personal Bescheid.“
„Was ist das hier? Wie kommst du zu dieser Luxus-Bude?“
„Ich hab meine Playstation vertickt. Hatte noch Liebhaber-Wert“, schmunzelte Maus.
„Ernsthaft, Dicker. Sonst zieh ich den Stöpsel raus.“
„Also gut. Der Typ, dem der Laden hier gehört, hatte ein fettes Problem mit einem Rudel Bot-Viren. Sein System war gründlich
verseucht. Ich hab's heute Morgen aufgeräumt und der Kerl konnte sich vor Glück gar nicht beruhigen. Und da kam mir diese Idee. Ich hab einfach gefragt. Da der Typ eh gerade wieder die Börsen
dieser Welt abklappert oder so, hatte er kein Problem damit. Gefällt's dir?“
Viktoria antwortete ihm mit einem langen, leidenschaftlichen Kuss. Dann nahm sie das Cocktail-Glas und stieß selig
schmunzelnd mit ihm an.
„Frohen Valentinstag!“, sagte sie.
„Ach, ist heute Valentin?“, lachte er. „Hätte ich fast vergessen.“
Dann leerte er sein Glas bis zur Hälfte in einem Zug.
Viktoria legte sich zurück und schloss die Augen. So konnte man das Leben aushalten! Sie überlegte, ob es eine gute Idee war, ihm
jetzt von der extra-scharfen Currywurst zu erzählen, die sie in Bens Küche für ihn vorbereitete hatte. Die hatte sich Maus nun wirklich verdient. Aber nein! Sie seufzte. Mit dieser Überraschung
würde sie noch ein klein wenig warten.
LICHTSTURM
Die Geschichte von Larinil und Kellen, Maus und Viktoria, Ben und Natalie wird in „Lichtsturm - Die weiße Festung“ und in „Lichtsturm II – Die andere Welt“ erzählt. Die Fantasy-Thriller gibt es als ebook und
als Taschenbuch.